„Was sagen`se denn eigentlich zu der Peredwischniki-Ausstellung im Museum?“, wurde ich neulich schon das zweite mal gefragt. Daß man in Chemnitz schon einige Zeit mit solch einem Thema befaßt ist, hatte ich zwar mitbekommen, aber dann nichts weiter dazu gehört. „Sollten´se gesehen haben, war das „Schlußplädoyer“ des kurzen Gesprächs mit einem alten Bekannten. So weit, so gut.
Zu einem kürzlichen Treff am Theaterplatz kam ich ein ganzes Stück zu früh und hatte nun über eine dreiviertel Stunde Zeit, wobei man bei solchen Gelegenheiten automatisch in einen Zustand versetzt wird, wo „Betriebsblindheit“ neugieriger Betrachtung der Umgebung weicht. Es dauerte auch gar nicht lange, bis mir dieser Ausdruck Peredwischniki „in`s Auge fiel“ und auf Grund der kürzlichen Erwähnung in besagtem Gespräch konnte ich zumindest grob etwas mit diesem Namen anfangen. Entweder eine knappe Stunde rumstehen oder inzwischen dort rein gehen, stand als Alternative. Na ja, 8 Euro, nicht gerade geschenkt, aber bezahlbar. Bei nicht wenigen Rauchern langt das gerade mal 2 – 3 Tage. Im Belantis Vergnügungspark berappt man mittlerweise bald das dreifache, auch wenn dieser Vergleich Angriffspunkte bietet …
Mein Vorsatz, da schnell mal durchzugehen, fällt alsbald zusammen wie ein Kartenhaus und schon nach den ersten Bildern merke ich selber, daß meine Betrachtungen immer länger dauern. Die Werke ziehen einen förmlich in ihren Bann, sie faszinieren – und fesseln ! Dabei sind die Darstellungen ohne alle „Schockeffekte“, jedoch in nicht beschönigender Realität dargestellt. Es ist wahrscheinlich die gelungene Verknüpfung mit unseren gedanklichen Inhalten zu diesen Themen, die eine solch nachhaltige Wirkung auf uns als Betrachter ausübt 1). Die Bilder, die ich hier in meiner Darstellung verwendet habe, sind diejenigen, die mir von allen am meisten nahe gingen, es gibt aber auch viele Gemälde, die Fröhlichkeit und einen besonderen gesunden Optimismus vermitteln, die zeigen, wie man mit wenig schon zufrieden sein kann, eben ein offenbar brillantes Spiegelbild der Lebensart der einfachen russischen Leute. Kein Wunder, daß die Peredwischniki in Konflikt kamen mit der von der Zarenmonarchie dominierten russischen nationalen Kunstgalerie, die nur Reiche bzw. Adlige in Szene gesetzt haben wollten und jeden (auch künstlerisch gesellschaftskritischen) Zündfunken auf das damals schon längst gärende Pulverfaß der sich entwickelnden revolutionären Situation zu vermeiden suchten. Die meisten der armen Leute hatten sowieso keine Gelegenheit, in die großen Städte zu kommen, wo auch die russische Kunst und Kultur mit ihren hochkarätigen Vertretern ihre Hochburgen hatte.
Schon allein daher bemerkenswert der Gedanke der Künstler, sich zum Publikum HIN zu begeben, also hin zu wandern ( = Peredwischniki ) - mit den Bildern im Gepäck – welche eine ungeheure Wirkung ausübten und regelrecht monumentale Erfolge verzeichnen konnten – immer und immer wieder – bis zum heutigen Tag. Es ist eben die ganz hohe Schule des russischen Realismus, mit einer enormen Aussagekraft in den Bildern, die ihresgleichen sucht und die ihre weltweite Berühmtheit zu Recht errungen hat …
Fabelhaft, sie sogar bei uns in Chemnitz sehen zu können, zu verdanken nicht nur unserer musealen Generaldirektorin Frau Ingrid Mössinger (welche die Chemnitzer Kunstinteressierten schon längere Zeit immer wieder mit besonderen Leckerbissen zu verwöhnen weiß – z.B. die Gunzenhauser- Exposition) sondern auch zahlreichen weiteren - auch russischen Landsleuten – unter ihnen der russische Botschafter Wladimir M. Grinin (beide in der Portraitaufnahme des obigen Bildes – gefunden in der FP).
Beim Verlassen der Wandermaler-Galerie ist einer der dazu gehörenden Bildbände mein und der Entschluß gefaßt, nach dem Lesen der interessanten Hintergrundinformationen die bemerkenswerte Präsentation noch einmal zu besuchen, denn nun ist mir klar, der Eintritt ist doch geschenkt – im Vergleich zu dem, was man hier geboten bekommt … !!
PS. 1) Das sw-Bild von 1881 stellt die Gründungsmitglieder der Peredwischniki dar, die so viele meisterhafte und emotional berührende Kunstwerke schufen. Da ist das Gemälde von den Wolgatreidlern (oben links), welche die Schiffe auf der Wolga stromaufwärts schleppen mußen – eine unsagbar schwere Arbeit, da ist das Bild von den beiden Kindern, die am Grab ihrer Eltern knien, wohl noch nicht ahnend, daß ihre eigentliche Kindheit nun vorbei ist … - rechts oben Szene an einem Obdachlosenasyl, in dem auch ein Peredwischniki Künstler dargestellt ist, trotz seiner enormen malerischen Talente völlig verarmt, sehr ergreifend auch die Darstellung des zum Krieg aufbrechenden Soldaten (Abb. Rechts Mitte), der im allgemeinen Gewirr des Bahnhofes seine weinende Ehefrau zurück lassen muß, eine ungewisse, vom Tod bedrohte Zukunft vor sich, darunter (ganz untern rechts) die junge, gerade von einer angeblichen Straftat freigesprochenene Frau, die einerseits befreit ihr Kind an sich drückt, der aber andererseits Angst und Anspannung noch immer nicht aus dem Gesicht weichen wollen und schließlich unten links das noch junge, aber desillusioniert scheinende Paar – er wohl schon etwas äthylisiert und seinen Frust mit Gesang verdrängend, doch fröhlich sehen beide nicht aus. Sie, völlig apathisch und emotional leer wirkend, nur das kleine Stoffpäckchen, das sie an sich drückt, scheint ihr noch etwas zu bedeuten. Ob darin wohl ihr Baby ist … ??
