"In Andalusien liegt die Arbeitslosenquote bei 18%." , berichtet Gómez. "Da hast du keine Chance, etwas zu finden."
"Boah, Hammer!", sagt Momo. "Das ist ja noch schlimmer als in Algerien! Da gibt es nichts. Aber ich kann mir das lebhaft vorstellen. Ich habe es mal in Valencia probiert, es hieß, dort sei die Situation besser. Aber keine Chance. Ich bin dann illegal nach Marseille zurück - dort hatte man mich ja abgeschoben - aber in Marseille kenne ich viele und hatte die nötigen Beziehungen, um an Schwarzarbeit zu kommen."
"Da sagst du was, Vitamin B." , sagt Gómez. "Daran fehlt es mir eindeutig. Mir blieb nur das Arbeitsamt. Geld hätte ich von denen sowieso nicht gekriegt, ich war vorher ja selbständig und hab nichts eingezahlt. Arbeitsämter in Spanien sind ganz modern, da geht alles nur online. Aber die fragen dich als erstes nach deiner Berufsausbildung, und die hab ich nicht.
Aber es gibt in Málaga noch ein Arbeitsamt in Natura, in einem richtigen Haus, mit Öffnungszeiten und so. Dort wollte ich mich beraten lassen.
Ich kam gar nicht rein. Auf der Straße davor lief ich ein paar von meinen ehemaligen Arbeitern über den Weg - die waren sehr wütend und hätten mich beinahe gelyncht! Ich rannte und bin ihnen entkommen. Aber ich hatte noch nie so viel Angst wie da."
"Was hast du denen denn getan?", fragt Momo. "Oder kam das völlig überraschend?"
"Beides.", sagt Gómez. "Wir hatten etwa 400 Arbeiter, die mit der Pleite der Ziegelei ja auch alle ihre Existenz verloren hatten. Aber das war mir gar nicht so bewusst. In meinem Kopf war nur Luna, Luna, Luna und die ganzen Gerichte und Anwälte, die mich so endlos stressten. Über die Arbeiter hatte ich nicht nachgedacht, und wenn... es war Lunas Schuld! Aber ich war ja der Inhaber der Ziegelei, darum traf es mich. Aber das hab ich abgebüßt..."
"Wie? Du warst im Knast?", fragt Momo.
"Ja, ich wurde zu 2 1/2 Jahren Haft verurteilt, wegen betrügerischer Insolvenz. Das habe ich auch bis zum Schluss abgesessen.
Alhaurín de la Torre. Ein supermoderner Knast mit einem riesigen Turm. Na ja, supermodern ist eigentlich nur das Gebäude, die Blocks heißen Module. In Wahrheit ist es aber die reinste Psycho-Burg. Das System ist veraltet, der Knast ist überbelegt und sie haben Personalmangel.
Na ja, da kam ich das erste Mal mit richtigen Kriminellen in Kontakt. Solche Leute hatte ich davor noch nie erlebt. Die drangsalierten mich anfangs übelst. Aber ich hatte zwei Vorteile: Erstens bin ich Nichtraucher, und wie du sicher weißt, Tabak ist Zahlungsmittel im Knast. Damit konnten sie mir nichts.
Und zweitens bekam ich nie Besuch. Nicht mal mein Anwalt. Im Alhaurín machten sie nämlich so ein Pilotprojekt, wo man seine Anwälte nur noch online kontaktieren konnte. Sie konnten mich also nicht erpressen, Angehörige Drogen schmuggeln zu lassen oder sowas - ich hatte keine.
So ließen sie nach den ersten Monaten von mir ab.
Ich war allein und geriet in totale Vergessenheit. Auch vom Knastpersonal her. Ich habe nie auch nur einen Sozialarbeiter zu Gesicht bekommen. Ich hatte Anträge auf vorzeitige Entlassung gestellt, oder auf Verlegung ins Respekt-Modul, wohin man bei guter Führung kam. Sie haben mich vergessen.
Ich war vollkommen allein. Manchmal dachte ich: Was, wenn sie auch meine Entlassung vergessen? Das zehrte wirklich an meiner Substanz.
Nein, dachte ich, ich muss alles tun, um meine psychische Gesundheit aufrecht zu erhalten. Es kam immer wieder vor, dass Häftlinge durchdrehten und in die Psychiatrie gebracht wurden.
Ich sagte mir, das habe ich schon mal erlebt, in meiner Kindheit, und überlebt. Meine Eltern hatten niemals für mich Zeit. Sie hatten wohl ein schlechtes Gewissen und überschütteten mich mit Geschenken, Spielzeug, Klamotten und so, aber sie waren nie wirklich für mich da.
Der einzige Freund, den ich damals hatte, war mein Hund.
Nein, ich bin mit den Menschen fertig. Im Knast freundete ich mich mit den Tauben beim Hofgang an. Ich sparte immer etwas Brot oder Kartoffeln von meinem Essen auf und fütterte sie. Das hat mir geholfen, über diese schwere Zeit zu kommen.
Ich wurde pünktlich entlassen, das haben sie, Gott sei Dank, nicht vergessen. Und mit dem Zeug aus der Asservaten-Kammer fuhr ich direkt nach Köln."