Mashaallah! Der Sternenhimmel in Beyharting ist umwerfend schön! Nicht so wie in München, wo man wegen der Staßenbeleuchtung kaum was sieht. Und da ist die Milchstraße.
Aber Abdi findet sich nicht zurecht. Es sieht alles ganz anders aus als in Dadaab oder in Somalia.
Er sucht Dayax, ein bestimmtes Sternbild. Es heißt auch Naciimo, hat der Sheikh ihm beigebracht. Die Nomaden benutzen es, um den Weg zu finden. Es ist ganz klein, aber markant.
Vielleicht erscheint es ja erst später in der Nacht, denkt sich Abdi. Sabiir. Geduld.
Von hinten kommt Momo und sagt: "Wow! Die Sterne! Das ist richtig schön!"
"Ja", sagt Abdi. "Ich suche Dayax, ein bestimmtes Sternbild. Es ist ganz klein, es besteht nur aus vier Sternen. Aber wichtig. Damit kann man die Himmelsrichtung bestimmen und die Qibla."
"Ja, ich weiß, was du meinst. Man nennt es auch das Kreuz des Südens. Aber hier in Europa kann man es nicht sehen."
"Schade.", sagt Abdi.
"Ich weiß das von dem alten Capitano in Brindisi. Als er jung war, war er ein Seemann und ist um die ganze Welt gefahren. Er erzählte vom Kreuz des Südens, das auch in der Schifffahrt große Bedeutung hatte. Er sagte, wenn sie durch den Suezkanal fuhren und dann ins Rote Meer, dann tauchte es am Himmel auf. Für die Seeleute war das immer ein großes Ereignis.
Er zeigte mir auch, woran man sich im Norden orientiert: dem Polarstern. Er steht genau über dem Nordpol.
Siehst du das Sternbild, das aussieht wie eine große Schubkarre?"
"Ja, genau, da!", sagt Abdi.
"Es heißt Großer Wagen oder Großer Bär. Und ganz in der Nähe findest du den Kleinen Wagen. Er sieht genauso aus, nur viel kleiner. Und der letzte Stern, am Griff, wo du die Schubkarre anfassen würdest, das ist der Polarstern."
"Ja, jetzt sehe ich ihn." sagt Abdi. "Danke für die Auskunft. Jetzt habe ich etwas Neues gelernt."
Dann schweigen beide, und sie schauen noch lange den Sternenhimmel an, jeder in seine Gedanken versunken. Im Hintergrund zirpen die Grillen, und manchmal raschelt der Mais, wenn eine Brise durchfährt.
Hier ist alles anders, denkt Abdi. Auch die Qibla. In Dadaab war sie nach Norden, hier geht sie nach Südosten.
Naciimo - in Dadaab gab es ein Mädchen, die so hieß. Sie war unglaublich hübsch. Abdi schwärmte für sie, aber dann fand er raus, dass sie in einer Abteilung im Ifo Camp lebte, gleich neben dem UNHCR, das besonders bewacht wurde. Warum? Er fand raus, da wohnten keine guten Leute. Christen aus dem Sudan und Prostituierte, schlechte Mädchen und solche, die bei den Weißen arbeiteten und so leben wollten wie die Weißen.
Warum beschützt man die? dachte er damals. Man sollte doch besser die wichtigen Leute schützen, die Sheikhs, die Clan-Ältesten, die alten Leute allgemein...
Der Sheikh hatte auch gesagt: Schlag dir Naciimo aus dem Kopf. Die ist kein gutes Mädchen.
Damals hatte er gedacht, ja, das steht sogar in den Sternen. Die Qibla geht nach Norden und Naciimo ist im Süden - genau in die falsche Richtung.
Aber ist es jetzt nicht mit Shashaa wieder so? Sie heißt ja Nimco, das ist auch so ähnlich... aber die Qibla ist ja hier auch in eine andere Richtung... überhaupt, das ist Hokuspokus, und wer weiß, ob ich sie je wiedersehe?
Momo hat beim Anblick der Sterne ganz plötzlich heftige Sehnsucht nach dem Meer. Er denkt sich, komisch, als ich auf dem Fischerboot ausgefahren bin, war ich nur seekrank und wollte bloß zurück auf festen Boden. Aber jetzt vermisse ich es. Ja, mein Meer! Sterne, grüßt mir mein Meer!
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