Friedenswinter, Berlin 2014 - a photo on Flickriver

Friedenswinter, Berlin 2014

Friedenswinter – Propagandaveranstaltung unter dem Deckmantel von „Frieden“

Eine krude Mischung aus diktatorentreuen Verschwörungsideologen aus dem Spektrum der "Mahnwachen für den Frieden", Altkommunisten, Neurechten, Antisemiten, Reichsbürgern, linken Abgeordneten sowie aus Gewerkschaftern demonstrierten am Wochenende beim „Friedenswinter“ in Berlin gegen den Bundespräsidenten und gegen alle Politiker – außer gegen Putin. Start war der Berliner Hauptbahnhof, die Route führte zum Schloss Bellevue, dem Sitz des Bundespräsidenten Joachim Gauck.

Rote Flaggen der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) wehten, daneben stand der Wagen der neuen Montagsmahnwachen, unter deren Dach sich verschiedenste Verschwörungsideologen und Reichsbürger versammelten. Dazu kamen Mitglieder der GEW und Atomkraftgegner. Ein Mann vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac hielt eine Rede und der Vorsitzende der „Naturfreunde“ hatte ein Grußwort geschickt.
Breit war das Bündnis, weil viele der Aussagen so allgemein sind, dass sie eigentlich gar keinen Effekt haben – außer, diejenigen zu wärmen, die sie äußern. Andererseits ganz eng beieinander und einer Meinung waren sie, wenn es um den tatsächlich längst stattfindenden Krieg in der Ukraine geht. Das ist nämlich aus Sicht der Teilnehmer natürlich die Schuld der NATO und der USA. Und Russland ist das Opfer.
Eine Frau hatte ein Schild gebastelt, darauf war das Gesicht des russischen Präsidenten Putin zu sehen in der blau-roten „Yes we can“-Optik, die einst Barack Obama berühmt gemacht hatte. Darunter stand „Frieden!“ und „Achtung! Achtung! An alle Deutschen! Eure Medien lügen! Informiert Euch!“. Putin ist der Übervater dieser Proteste.

Kennern war bereits im Vorfeld klar, was sich hinter diesem versuchten Zusammenschluss der putintreuen "Friedenspanzer-Connection" zusammen brauen würde. Dennoch wurde der Friedenswinter am Ende mit ca. 4.000 Teilnehmern tatsächlich noch zur „größten Friedensdemonstration des Jahres“.
Durch den Appell für eine andere Russlandpolitik vom 5. Dezember 2014 erreichten Ken Jebsen (KenFM) und Lars Mährholz (Mahnwachen für den Frieden), dass die Kooperation für den Frieden (Dachverband der Friedensbewegung), die FRIKO, die IALANA, einige Gewerkschafter und Abgeordnete der Linkspartei (Sahra Wagenknecht, Diether Dehm, Wolfgang Gehrke, Andrej Hunko, Sabine Leidig, Alexander Neu, Ulla Jelpke, Kathrin Vogler als Beispiel) mit ihnen zur Demonstrationsreihe „Friedenswinter 2014/15“ aufriefen.
Hauptinitiator des Aufrufs war Reiner Braun (IALANA). Er wollte die alte Friedensbewegung durch das neue Bündnis mit den pro-russisch, rechtsoffenen und verschwörungsideologischen Mahnwachen für den Frieden neu beleben, deren Vertreter einbinden und zu Führungspersonen aufbauen.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) und die als Rednerin vorgesehene Linkspartei-Vorsitzende Sahra Wagenknecht zogen ihre Unterstützung kurzfristig wieder zurück.

Noch bevor der Demozug vom Hauptbahnhof kommend vor dem Schluss Bellevue ankam, meldeten sich führende Köpfe der „Mahnwachen“ zu Wort. Der ehemalige Attac-Aktivist Pedram Shahyar schaute aus einem Planenwagen mit Lautsprecher heraus und rief: „Wir sind die neue Friedensbewegung!“ – und peitschte die Menge erfolgreich ein. Buhrufe gegen die Partei der Grünen folgten, gegen die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen oder Sprechchöre wie: „Brecht! Die Macht! Der Banken-und-Konzerne!“ Und kam in Fahrt.
Ein deutscher Bundespräsident, so Shahyar, hätte am Jahrestag des Beginns vom Zweiten Weltkrieg nicht in Polen sprechen dürfen, er müsste „nach Moskau fahren, um auf die Knie zu gehen!“ Dafür erntete er viel Jubel, noch mehr für seine Worte: "An – alle! – deutschen Medien: Eure Lügen glaubt euch keiner!“ – „Hört auf zu schreiben, was die Atlantikbrücke euch vorgibt!“ Shahyar begrüßte die Bundestagsabgeordneten der Linken: „Willkommen in der Friedensbewegung! Schön, dass ihr nicht gehört habt auf irgendwelche Nato-Thinktanks in eurer Partei!“
Die Mahnwachen-Leute verteilten lange Listen mit „alternativen Medien“, denn „westliche Mainstreammedien verweigern objektive Berichterstattung“.

Als der Zug vor dem Schloss Bellevue ankam, sprang plötzlich und unerwartet Ken Jebsen aus dem Inneren des Planenwagens ans Mikro. Einige der linken Friedensgruppen hatten ihre Teilnahme damit gerechtfertigt, dass der umstrittene „Mahnwachen“-Redner bei der Demo ja nicht auftauche. Zuletzt hatte Jebsen, der auch schon dem Compact-Magazin zur Seite stand, auf dem deutschen Ableger des Kreml-Senders „Russia Today“ erklärt, dass Putin die berechtigte Abspaltung der Ostukraine zu Recht unterstütze. Jebsen marschierte allerdings schon sehr frühzeitig am Frontbanner gemeinsam mit Diether Dehm von Hauptbahnhof in Richtung Schloss Bellevue. Die Teilnehmer blieben trotzdem.
Auf dem Wagen, der sonst immer für die "Mahnwachen für den Frieden" bereit steht, polterte er zuerst gegen die „embedded journalists“ der deutschen Presse, die schreiben, was die Nato ihnen einflüstere. Gauck sei ein Kriegshetzer, zu dem ihm nur einfalle: „Schluss Bellevue!“ Die Massen jubelten. Kurz darauf durfte Rapper Photon noch seine Mahnwachen-Hymne über die Weltverschwörung der US-Zentralbank zum Besten geben.
Danach übernahmen die neuen Kräfte auch die Hauptbühne: noch ein Deutschrapper, der über die Allmacht der NATO fantasierte, Gesichter von „Russia Today“ und ein Gauck-Parodist, zu dessen kabarettistischen Höhepunkten zählte, dass seine Gauck-Figur ihr Herz sprechen ließ – und plötzlich klang wie Hitler. Als Adolf himmelte er die ukrainische Ex-Oppositionsführerin Julia Timoschenko an, mit der er viel mehr erreicht hätte als mit Eva Braun. Jubel. Dass die neue Regierung der Ukraine „faschistisch“ sei, gilt hier bei vielen als ausgemacht.
An der Kundgebung vor dem Schloss Bellevue traten weiterhin auch der Kirchenkritiker Eugen Drewermann, der Kabarettist Reiner Kröhnert, die Moderatorin Lea Frings (RT Deutsch) sowie die Liedermacher Reinhard Mey und Konstantin Wecker auf. Reiner Braun verlas in Theorie eine Distanzierung von Antisemitismus, der Neuen Rechten, Reichsbürgern, Rassismus, Nationalismus und Faschismus.

Journalisten und Politiker – allesamt Kriegshetzer
Dieser neue Medienhass, der gleich alle Journalisten in Sippenhaft nimmt für unliebsame, weil kritische Berichte, passt hier wunderbar zum alten Hass auf die politische Elite. Denn Kriegshetzer, das sind sie aus Sicht der Demonstranten ja alle gemeinsam. Ursula von der Leyen wurde also als „fleischgewordenes Mutterkreuz“, „Kriegsministerin“ und „wehrhafte deutsche Lichtgestalt“ verspottet. „Könnte es sein, dass der Westen der wahre Terrorist ist?“, fragte ein Flyer. Und die NATO benannten sie um in „NAHTOD“, das H und das D blutrot eingefärbt. Gauck wurde ähnlich dem Fadenkreuz „stirnverziert“ mit einem Sticker der Friedenstaube dargestellt – sicherlich "friedlich gedacht".

Schuhe auf den Bundespräsidenten
In der arabischen Welt gibt es kein anderes Kleidungsstück, mit dem sich mehr Verachtung ausdrücken lässt: Der Schuh gilt als Inbegriff von Unreinheit, Schmutz und als schwerste Beleidigung, wenn man diese auf seine(n) Gegner wirft. Damit hatte sich an diesem Samstag die Menge ausgetobt. Der Vorplatz vom Schloss Bellevue war mit geworfenen Schuhen übersät.

Kleiner Gegenprotest
Von Weitem konnte man nicht wirklich erkennen, ob die ukrainische Flagge eine Provokation von Friedenswinter-Teilnehmern war. Irgendwann war ich aber nah genug dran, um zu erkennen, das es ein kleiner Gegenprotest von pro-ukrainischen Aktivisten war, die mit Transparenten ihren Protest gegen diese pro-russische Einflussnahme damit kund taten. Es war meinen Recherchen nach der einzige Gegenprotest zu dieser kruden "Friedens"zusammenrottung.

Es demonstrierten also einige tausende Menschen in Zustimmung für den Präsidenten, der die Krim annektierte, das Völkerrecht gebrochen und Soldaten zur Eroberung in ein fremdes Land geschickt hat. Und gegen den deutschen Präsidenten, der gewagt hat, nur davon zu reden, dass es Situationen geben kann, in denen auch Deutschland militärisch aktiver werden müsste. Der russische Präsident Putin ist für viele dieser Menschen ein Hoffnungsträger. Der andere; Bundespräsident Gauck ein übler Kriegshetzer. Die größte „Friedensdemo“ seit Jahren ist wohl auch deshalb so groß, weil sie sich auf die Seite einer Kriegspartei schlägt.
Der Berliner Linken-Chef Klaus Lederer sieht darin eine Öffnung des Friedensbewegung nach rechts. Die Mahnwachenbewegung bereite „nahtlos den Boden für Rechtspopulismus, Antisemitismus und Rassismus“, sagte er gegenüber der taz. Dass Linke mit solchen Leuten den Schulterschluss suchen, sehe er „mit Gruseln“. Die Kooperation mache solche Welterklärungsmuster salonfähig.

hinzugezogene Quellen:
Berliner Zeitung: „Friedenswinter“ vor Bellevue: Verschwörungstheoretiker kapern Friedensdemo in Berlin www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/friedenswint... (archive.fo/MwodZ)
Webauftritt Friedenswinter mit Unterschriftenliste: friedenswinter.de/Kategory/demo-berlin/ (archive.ph/1PDJ1)
Kölner Stadtanzeiger: „Verschwörungstheoretiker kapern Friedensdemo in Berlin“ www.ksta.de/politik/-friedenswinter–vor-bellevue-versch...; (archive.fo/XgYdB)
Wikipedia: „Mahnwachen für den Frieden“ de.wikipedia.org/wiki/Mahnwachen_für_den_Frieden#Deutsch...
Berliner Zeitung: Kommentar zur „Friedenswinter“-Demo am Schloss Bellevue: Links- und Rechtsradikale in obskurem Bündnis geeint www.berliner-zeitung.de/kommentar-zur-friedenswinter-demo... (archive.fo/YsDGH)
Zeit Online: Die Linke – Seit‘ an Seit‘ mit den Weltverschwörern www.zeit.de/politik/deutschland/2014-12/linke-antisemitis... (web.archive.org/web/20150629221843/www.zeit.de/politik/de...)
Zeit Online: „Friedenswinter – das man sie bis nach Moskau“ hört www.zeit.de/politik/deutschland/2014-12/friedenswinter-pr... (Archiv: web.archive.org/web/20141231150056/www.zeit.de/politik/de... oder archive.fo/PEnf4)
Westdeutsche Zeitung: „Hintergrund: Der Schuh als Symbol der Verachtung“ www.wz.de/thema-des-tages/hintergrund-der-schuh-als-symbo...
Spiegel TV: "Ein bisschen Frieden, ein bisschen Wut: Über Pazifisten und radikale Mitläufer" www.youtube.com/watch?v=2p60-F6xwfY

weitere Berichterstattung
VICE: „Friedenswinter – eine Loose-Loose Situation www.vice.com/de/article/qbaz3q/der-friedenswintereine-loo... (archive.fo/rsCBw)
Berliner Zeitung: „Friedenswinter steckt Gauck in Stasi-Uniform“ www.bz-berlin.de/berlin/mitte/friedenswinter-steckt-gauck... (archive.fo/F3SLe)
Tip-Berlin: „„Aluhut auf zum Friedenswinter“ www.tip-berlin.de/kultur/aluhut-auf-zum-friedenswinter-vo... (archive.fo/wncAD)
Sueddeutsche Zeitung: „Friedenswinter – wie weit rechts bewegen sich die Montagsmahnwachen?“ www.sueddeutsche.de/politik/aufruf-zum-friedenswinter-hau...
Tagesspiegel: „Verschwörungstheoretiker, Linke und Neonazis gegen Gauck“ www.tagesspiegel.de/berlin/demo-friedenswinter-in-berlin-...
Spiegel: „Protestbündnis ruft zum Marsch gegen Gauck“ auf www.spiegel.de/politik/deutschland/friedenswinter-demo-bu...
Neues Deutschland: „Mehrere Tausend auf Friedens-Demos“ www.nd-aktuell.de/artikel/955435.mehrere-tausend-auf-frie...
Berlin.de: „4.000 Menschen demonstrieren in Berlin für Frieden“ www.berlin.de/aktuelles/berlin/3713862-958092-4000-mensch...
Berliner Morgenpost: „4.000 Menschen demonstrieren in Berlin für Frieden“ www.morgenpost.de/berlin/article135335731/4000-Menschen-d...

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Vielen Dank!
Stand: Dezember 2014

Taken on: December 13, 2014

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