"Macht den Westen endlich platt!" - LL-Demo geprägt durch russische Propaganda

Der Hauptfeind im eigenen Lager
Am Sonntag war Ex-Stasi-Major und heutiges DKP-Mitglied Klaus Meinel wie jedes Jahr wieder Anmelder der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration. Meinel ist auch eng mit der FRIKO verbunden, die vor allem jedes Jahr die bekannten Ostermärsche abhalten.
In der DDR war der jährliche Gedenkmarsch eine „Kampfdemonstration der Berliner Werktätigen zum Gedenken an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg“ und ein staatlich angeordnetes Ritual unter Führung der gesamten Staats- und SED-Spitze.
Damals versuchten DDR-Oppositionelle gegen die "Kampfdemonstration" zu protestieren. Sie entrollten z.B. Plakate mit Rosa-Luxemburg-Zitaten wie: „Die Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“, „Der einzige Weg zur Wiedergeburt – breiteste Demokratie“ und „Wer sich nicht bewegt, spürt die Fesseln nicht". 120 Oppositionelle, unter ihnen auch bekannte Bürgerrechtler, wurden damals von der Stasi verhaftet.

Mit einem Marsch und einer Gedenkveranstaltung haben am 15. Januar in Berlin erneut Tausende Menschen der Ermordung der Kommunistenführer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg vor 104 Jahren gedacht. Nach einer Demonstrationsroute pünktlich ab 10 Uhr vom Frankfurter Tor in Berlin-Friedrichshain zum "Friedhof der Sozialisten" Berlin-Friedrichsfelde in Lichtenberg legten viele von ihnen rote Nelken an der Gedenkstätte der Sozialisten nieder.
Amira Mohamed Ali, Franktionsvorsitzende der Linken im Bundestag und der Co-Vorsitzende Dietmar Bartsch ehrten Liebknecht und Luxemburg mit einem Kranz ebenso wie die Parteispitzen Janine Wissler und Martin Schirdewan. Auch Berlins Kultursenator Klaus Lederer legte eine Nelke nieder.

Über die Frankfurter Allee wog ein Meer von roten Fahnen, manche davon mit Hammer und Sichel. In Reih und Glied einheitlich gekleidet, teils vermummt und mit roten Fahnen zu Trommelrhythmen martialisch marschierend, gab man sich auch optisch einer militaristisch angehauchten Folklore hin.
Am Frontbanner der Demonstration stand der für seine russlandfreundliche Haltung bekannte Linken-Politiker Andrej Hunko sowie Sevim Dagdelen, die auch beim "neu gegründeten" Bündnis Heizung, Brot und Frieden" aus dem Umfeld von aufstehen/DKP mitwirkt(e) und die auch beim Anti-NATO-Kongress im letzten Jahr in Berlin mit entsprechendem Vokabular aufgetreten war. Ansonsten vermittelte der angeführte erste Block verhältnismäßig neutrale Botschaften.
Bei der traditionellen Liebknecht-Luxemburg-Ehrung drängte sich natürlich die Friedensfrage auf. Karl Liebknechts Losung "Der Hauptfeind steht im eigenen Land" – von ihm ausgegeben auf einem Flugblatt zum Ersten Weltkrieg im Mai 1915 – fand sich angesichts des Krieges in der Ukraine bei der diesjährigen Liebknecht-Luxemburg-Demonstration auf unzähligen Transparenten.
Statt die Verantwortung des Krieges auf Seiten Russlands zu verorten, wurden oft die Nato, die USA oder gleich der gesamte Westen als die vermeintlich Schuldigen benannt. Die Beurteilung des Kriegsgeschehens fiel jedoch insgesamt unterschiedlich aus. Nicht wenige Teilnehmer forderten mitunter einen „Waffenstillstand“, „Frieden mit Russland“ oder verdrehten mit der Losung „Hände weg von Russland“ den Angriffskrieg auf die Ukraine zu einer legitimen Verteidigung des Aggressors.

Die Freunde Wagenknechts bildeten bei der traditionellen Liebknecht-Luxemburg-Demonstration einen eigenen kleinen Block. So erschien z.B. das Coop-Cafe samt seinen Unterstützern (u.a. mit seinem "Frente Club") mit einer Flagge der DDR, ihrem üblichen "Frieden mit Russland-Plakat" und "Hands of Russia", dem Propaganda-Banner von Odessa oder mit einer Fahne der "Volksrepublik Donezk" - eine Fantasierepublik in der Ukraine, die sich Putin schon seit 2014 einverleiben will und die durch 143 Staaten verurteilt wurde.
Das Coop-Cafe wirbt mit Unterstützung der Freidenker für eine "Multipolare Welt". Sie wollen in diesem Zusammenhang die gleichgeschalteten Regimesender wie PressTV Iran, RT und Sputnik Russland, CCTV China für andere Mitmenschen "schmackhaft" machen und dafür anwerben. Das Coop-Cafe bietet der aufstehen-Bewegung Räume zur Organisation und Vernetzung u.a. für Straßenproteste und Veranstaltungen, der Inhaber selbst ist nach eigenen Angaben auch aufstehen-Mitglied.

Das mit orange-schwarz farbenen Streifen (St.Georgs-Band/Russlands Nationale Befreiungsbewegung NOD=Нод) untermalte Transparent "Frieden mit Russland statt weiter in den Dritten Weltkrieg. Deutschland: Raus aus der NATO! NATO raus aus Deutschland" wurde von mindestens einem Teilnehmer gehalten, der sonst auch bei Querdenken aktiv ist und der eigentlich aus der Friedensbewegung rund um die FRIKO stammt und in der Vergangenheit bei Ostermärschen z.B. Banner der "Mahnwachen für den Frieden" hielt. Dieses umgangsprachliche Kartoffelkäfer-Banner sah ich kurze Zeit später gegenüber dem Freidenker-Stand auf dem Vorplatz des Friedhof der Sozialisten wieder.
Auch eine Flagge der Russischen Förderation war mit dabei, die hinter besagtem Banner gehalten wurde. Dort konnte ich ebenfalls eine Teilnehmerin verorten, die z.B. in der Vergangenheit bei der vom rechtsextremen Compact-Magazin beworbenen Veranstaltung "Handwerker für den Frieden" auf dem Alexanderplatz mit dem dort anwesenden Jürgen Elsässer in der Teilnehmermenge stand. An besagtem Tag hatten sich die "Handwerker für den Frieden" mit der Friedensbewegung der FRIKO "vermischt".

Laut ND und dem freien Fotografen Moritz Dorn erklang vom Lautsprecherwagen der DKP die sowjetische Hymne. Russland verwendet heute wieder diese Melodie, allerdings mit einem geänderten Text. "Gäbe es die Sowjetunion und die Rote Armee noch, gäbe es keinen Krieg in der Ukraine", sagte der DKP-Vorsitzende Patrick Köbele gegenüber dem ND. Die Polizei habe ihm daraus den Vorwurf der Billigung eines Angriffskrieges gemacht, erzählt Köbele. "Aus der Nato, aus der Nato raus, raus, raus", wurde im Marschblock der DKP im Chor gerufen. Aus einem Block der DKP-Jugendorganisation SDAJ schallte es: "Das ist nicht unser Krieg." Dieser Slogan wird auch seit Monaten in Berlin mittels "Graffiti" verbreitet.
Der Liebknecht-Kreis z.B. fertigte extra ein Transparent, das später auch bei anderen Aktionen verwendet werden soll. Auf dem Transparent stand: "Wer Frieden will, braucht keine Nato. Waffenexporte stoppen!"
Ein Plakat (aus dem Umfeld?) der DKP zeigte z.B. den Spruch: "Für die NATO-Ukraine macht ihr Deutschland zur Ruine?!?!" Besonders tragisch: nur einen Tag zuvor bombardierte Russland erneut die Ukraine, u.a. ein Wohnhaus in Dnipro mit mindestens 50 Toten, darunter viele Kinder.
Ein anderes Plakat zeigte den Spruch: "Wer annektierte die DDR?". Eine Anspielung an eine heutige, vermeintliche amerikanische "Besetzung", nachdem 1989 die Mauer fiel. Die DDR war ab Kriegsende russisch fremdbesetzt worden. So gesehen müsste nach Ansicht einiger dieser Menschen das jetzige "Westdeutschland" bis heute unter amerikanischer Besatzung stehen. Es sind auch Verschwörungserzählungen, wie sie überwiegend in der Reichsbürgerszene benutzt werden.

Vom Jüdischen Forum Berlin in Video festgehalten wurde die "Kommunistische Organisation", die unter anderem die Parolen: "Mali, Donbass, Gaza Stadt: Macht den Westen endlich platt!" sowie "Von Lützerath nach Gaza, Yallah Intifada!" skandierten. Auf einem Transparent, das vor der Gruppe getragen wurde, hieß es ebenso: „Der Hauptfeind steht im eignen Land“. Das Jüdische Forum berichtete neben den russischen Propagandaslogans aber auch über antisemitische Sprechchöre.
Viele der dort anwesenden Teilnehmer sehen sich traditionell als antiimperialistische Linke. Historisch und in Bezug auf die Einverleibung diverser Länder gesehen, wie es z.B. Russland, aber auch die Sowjetunion betrieb, fällt es mir schwer, jene Leute noch als antiimperialistisch zu bezeichnen, denn sie unterstützen den russischen Imperialismus. Aber auch im Antiimperialismus gibt es unterschiedliche Strömungen, die zu beachten sind.
Die FDJ (Freie Deutsche Jugend) ließ die Polizei in diesem Jahr gewähren. 2021 gab es dutzende Festnahmen, weil trotz mehreren Ansagen Demonstranten weiterhin Fahnen der DDR-Jugendorganisation FDJ zeigten. Laut Presse aus 2021 war es verboten, sich uniformiert auf der Demonstration zu zeigen. Die FDJ (West) ist verboten und kaum von der ostdeutschen Organisation zu unterscheiden, in der viele junge Menschen zugegen sind.

Im Gegensatz zu 2016 empfand ich die LL-Demonstration am Sonntag rein optisch noch gemäßigt. 2016 war die LL-Demo eine Armada an Flaggenmeer aus Stalin-und Mao-Verehrern, wie man auch meinem Album aus 2016 entnehmen kann. Dem war am 15. Januar diesen Jahres nicht so gegeben, auch wenn man vereinzelt Plakate bzw. Banner einzelner K-Gruppen und Organisationen sowie Zusammenschlüssen damit sehen konnte.

Am Rande der Demonstration gab es einen kleinen proukrainischen Gegenprotest. Zu Übergriffen auf das deutsch-ukrainische Paar kam es zum Glück aber nicht.
Angekommen am Friedhof der Sozialisten entdeckte ich Mario Röllig am Stein, der den Opfern des Stalinismus gewidmet ist. Er war in der DDR aus politischen Gründen inhaftiert. Röllig hatte am Vormittag dort eine Rede gehalten. Um diesen kleinen Gedenkort hatten sich -leider traditionell- eine Schaar Menschen aufgestellt, die diesen vor Übergriffen beschützten, auch Ex-Sozialsenatorin Elke Breitenbach war vor Ort. Breitenbach gehört mit zum Flügel der DIE LINKE, die Waffenlieferungen an die Ukraine gutheißt.
In der Vergangenheit wurde das Gedenken der Opfer des Stalinismus bei LL-Demos oftmals geschändet. Eine Augenzeugin berichtete von mehrmaligen Spuckaktionen auf das Mahnmal, was ich allerdings nicht verifizieren konnte.
Auch bei entsprechend kritisch angeregter Konfrontation über einen längeren Zeitraum am Rande der Veranstaltung mit sehr, sehr jungen Teilnehmern und mindestens einem maoistischem Aktivist (die respektvoll im Gegenüber verlief) gab es dennoch keine Distanzierung von solchen Positionen, sondern die bekannte Abwehr- und Schuldumkehr-Argumentation. Eine Solidarisierung mit der ukrainischen Zivilbevölkerung sowie anderen Betroffenen von Verfolgung und Gewalt aus repressiven Regimen suchte man auch in diesem Jahr vergeblich.

hinzugezogene Quellen:
www.jfda.de/post/macht-den-westen-endlich-platt-ll-demo-b... (archive.fo/6SJuV)
www.jugendopposition.de/themen/145392/luxemburg-liebknech...
www.deutschlandfunk.de/kundgebung-vor-30-jahren-120-oppos... (archive.fo/nzjF1)
www.tagesspiegel.de/politik/linken-abgeordnete-auf-abente...
www.flickr.com/photos/sozialfotografie/albums/72177720302...
www.flickr.com/photos/sozialfotografie/albums/72177720302...
twitter.com/m_dorn_/status/1614695826546200577 (archive.fo/wgP2i)
twitter.com/m_dorn_/status/1614728589253148672 (archive.fo/ffLjK)
twitter.com/derJamesJackson/status/1614618754570227712 (archive.fo/nCOSo)
www.dekoder.org/de/gnose/st-georgs-band
www.zeit.de/gesellschaft/2015-03/propaganda-russland-deut...
www.nd-aktuell.de/artikel/1170169.karl-und-rosa-der-haupt... (archive.fo/W1N3B)
www.welt.de/politik/deutschland/article243228427/Prorussi... (archive.fo/GTgIi)
www.tagesspiegel.de/berlin/rote-nelken-an-gedenkstatte-ni... (archive.fo/GWF1d)
www.flickr.com/photos/pm_cheung/albums/72177720305267169/
www.berliner-zeitung.de/news/demos-in-berlin-zum-jahresta... (archive.fo/oUHK4)
taz.de/Anmelder-der-Luxemburg-Liebknecht-Demo-im-Portraet...
www.morgenpost.de/berlin/article209265865/Mit-Stalin-und-...
www.flickr.com/photos/sozialfotografie/albums/72177720304...
www.facebook.com/photo/?fbid=1780553248673012&set=pb.... (archive.fo/bzvxi) sowie multipolare-welt-gegen-krieg.org/ (archive.fo/yvbPY) und web.archive.org/web/20180905013107/http://multipolare-wel...
www.freidenker.org/ (archive.fo/NywOf
faktencheck.afp.com/http://doc.afp.com/9K88KW-1 (archive.fo/0sv92)
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Stand: Januar 2023

Taken on: January 15, 2023

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